Unser Geschäftsmodell ist im Eimer

Ein Honorarmodell, mit dem sich wirklich Geld verdienen lässt? Dick van der Lecq (BoardSupporter, Niederlande) und Valérie Herbert (Springbok Agency, Belgien/Niederland) wälzen Zahlen

Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 1 des Magazins Agency Life, das im Juli veröffentlicht wurde. Wir sind derzeit damit beschäftigt, Ausgabe 2 zu produzieren. Das Magazin wird im Januar 2025 veröffentlicht und Sie können es hier vorbestellen.

DE Blog Magazine Broken Business Model p8

Wie soll eine Agentur noch Geld verdienen? Als Berater junger Agenturen versucht die niederländische Werbelegende Dick van der Lecq, diese Frage zu beantworten. Auch sie jongliert täglich mit Zahlen: Valérie Herbert. Als Group CFO von Springbok Agency schwingt sie ohne Unterlass das Zepter bei Unternehmensübernahmen. Ein Gespräch über Margen, wertorientierte Preisbildung und andere finanzielle Leckerbissen.

Wer ist Dick van der Lecq?

  • Top-Werbeprofi mit langer Karriere, u. a. bei Etcetera und DDB
  • Hilft mit BoardSupporter jungen Kommunikationsagenturen zu wachsen
  • Bündelte 62 Kolumnen über die niederländische Werbe- und Medienwelt im Buch „Spraakmakend“
  • Was uns vom Agency-Life-Podcast in Erinnerung geblieben ist: „Die Agenturen von heute tun mir leid.“

Wer ist Valérie Herbert?

  • Group CFO von Springbok Agency
  • Inzwischen Expertin für Unternehmensübernahmen 
  • Spielte jahrelang professionell Eishockey bei den Belgian Red Panthers 
  • Was uns vom Agency-Life-Podcast in Erinnerung geblieben ist: „Wir müssen uns trauen, die Lernkosten an unsere Kunden weiterzugeben.“

Das Problem mit der Marge

Werfen wir einen kurzen Blick auf die heutigen Honorarmodelle von Agenturen. Was läuft da schief?

Dick: „Das Problem liegt zum großen Teil an den Margen. In meinen vier Jahrzehnten in der Werbung habe ich diese Zahl nur sinken sehen. In den Niederlanden heißt das: keine Medienerlöse mehr, keine 17,65 Prozent Aufschlag, keine Abrechnung von Fremdkosten … Die Einnahmen kamen früher aus allen möglichen Quellen – du musstest dich richtig anstrengen, deine Agentur vor die Wand zu fahren. Heute ist die Situation vollkommen anders: Da wurde gewaltig die Axt angelegt.“  

Valérie:  „Ich begegne immer noch Agenturen mit ordentlichen Margen. In unserer Branche lässt sich also immer noch Geld verdienen. Aber wir als Branche haben ein wenig vergessen, dass wir diejenigen sind, die Kunden bahnbrechende Ideen präsentieren. Wir müssen Rückgrat zeigen und die Werbetreibenden daran erinnern, dass Qualität nun einmal ihren Preis hat. Das tun wir im Moment nicht: Die Angst, Kunden zu verlieren, ist riesengroß geworden. Wir versuchen viel zu oft krampfhaft, ihnen gefällig zu sein. Hinzu kommt, dass Werbetreibende heutzutage womöglich zu viel für das Budget fordern, das ihnen zur Verfügung steht. Daran sind wir als Agenturen auch selbst schuld. Dieser Teufelskreis ist nur schwer zu durchbrechen.“ 

Ist es heute schwieriger, eine Agentur erfolgreich zu machen?

Dick: „Es gibt viel mehr Agenturen, der Wettbewerb ist deutlich größer. Früher wechselten die Kunden nicht einfach die Agentur, weil es nicht so viele gab. Inzwischen ist unsere Arbeit auch ein wenig zur Massenware geworden. Auftraggeber nehmen die Haltung ein: ‚Wenn ihr es nicht macht, dann machen es eben andere.‘ Die Austauschbarkeit hat zugenommen.“

„Unsere Arbeit ist zu sehr zur Massenware geworden.“
Dick van der Lecq, Agenturberater

Sind unsere Stundensätze noch realistisch? – Nein, meint Dick.

„Ich war sehr lange Vorstandsmitglied unseres Branchenverbandes VIA. Der erfasst jedes Jahr akribisch die kumulierten Einnahmen der niederländischen Agenturen sowie die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden. Teilt man die ersten durch die zweiten, ergibt das etwa 80 Euro pro Stunde. Ein Kfz-Mechaniker dagegen verlangt 125 Euro pro Stunde. Nichts gegen Kfz-Mechaniker, aber ich würde zumindest erwarten, dass wir Marketingleute das Gleiche verdienen. Eine schockierende Feststellung, oder? Wir verdienen einfach nicht genug Geld.“ 

Valerie: „Ich stoße darauf an, dass noch viele Agenturen gegründet werden und mit viel Individualität eine neue Geschichte schreiben. Einige Agenturen haben ihr optimales Honorarmodell gefunden: kleine Agenturen mit nicht zu vielen Overheads, die aber sehr geschickt positioniert sind, zum Beispiel. Sie zeigen, was sie können, und konzentrieren sich auf eine Nische. Eine erfolgreiche Agentur nimmt ihre Arbeit kritisch unter die Lupe. Wir müssen uns wieder fragen: ‚Wie lösen wir die Probleme unserer Kunden? Wie bieten wir Mehrwert? Wie lassen wir Qualität die erste Geige spielen?‘ So stellen wir sicher, dass unsere Arbeit nicht zur Massenware verkommt.“

Ist das typisch für unsere Branche?

Dick: „Auf jeden Fall. Schauen wir uns doch einmal andere Branchen an. Über dieses Thema hatte ich einmal eine Diskussion mit jemandem von der Beratungsfirma McKinsey. Der sagte: ‚Ihr in der Werbung tut mir leid. Ihr müsst jede Stunde, die ihr budgetiert, auch abarbeiten.‘ Im Consulting wird eine Stunde gearbeitet und die Arbeit dann Dutzenden Parteien verkauft, ohne dass es jemandem peinlich ist; Exklusivität ist dort unbekannt. Dann denke ich: ‚In der Werbung ist es sogar noch schlimmer: Wir arbeiten überwiegend mehr Stunden, als wir verkaufen können.‘ Wir müssen vielleicht doppelt so viele Stunden schieben, wie budgetiert. Diese Situation beunruhigt mich sehr. Wie können wir das ändern?“

„Die Entwicklung unserer Beschäftigten hat ihren Preis: Wir müssen uns trauen, ihn an unsere Kunden weiterzugeben“
Valérie Herbert, Group CFO Springbok Agency

Müssen Margen unbedingt solch eine große Rolle in Agenturen spielen?

Valerie: „Margen sind entscheidend, damit eine Agentur Luft zum Atmen hat und wachsen kann. Was das Agenturleben heute schwierig macht, ist, dass wir alles Mögliche über viele verschiedene Touchpoints lernen müssen. Wir müssen mit Dutzenden Technologien Schritt halten und in die Entwicklung unserer Beschäftigten investieren. Das hat seinen Preis: Wir müssen uns trauen, ihn an unsere Kunden weiterzugeben.“ 


Dick: „Vielleicht auch nicht. Eine Agentur kann sich die Frage stellen: Müssen wir uns wirklich so stark auf die Finanzen konzentrieren? Es gibt viele junge Agenturen, die sich damit viel weniger beschäftigen. Einerseits scheint das nicht in Ordnung zu sein, andererseits schaffen sie eine entspannte Atmosphäre in ihrem Unternehmen. Das hat auch etwas für sich. Sie geben jedem einen Tesla und veranstalten eine große Party mit dem, was am Ende des Jahres übrig bleibt. Bei den großen Agenturen sieht es anders aus: Die internationalen Konzerne erwarten eine Rendite von 20 % und ein Wachstum von 10 %, was für große Angst sorgt. Das ist katastrophal für Kultur und Atmosphäre in einem Unternehmen.“

„Wir lassen uns die Butter vom Brot nehmen“

Dick über großartige Ideen zum Nulltarif

„Als ich in der Werbung anfing, wurden Kampagnen entwickelt, die heute noch laufen. Die Leute erinnern sich an die Werbespots für Gemüse von Hak, sie kennen ‚Cora von Mora‘. Letztere schlachtet ein Werbetreibender inzwischen seit 40 Jahren aus. Was hat das damals gekostet? Vielleicht 30.000 Gulden? Dann darf es uns nicht überraschen, dass die Branche in Schwierigkeiten steckt. Als Agentur musst du Rückgrat haben und dich trauen, für deine Ideen einen guten Preis zu verlangen.“  

Das perfekte Honorarmodell haben Dick und Valérie noch nicht gefunden.

Dabei prüfen sie zwei Modelle genauer: eines, das sich in der Vergangenheit bewährt hat, und eines, mit dem jetzt ausführlich experimentiert wird.  

„Macht den Retainer wieder populär!“

Dick: „In größeren Märkten wie Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA arbeiten viele Agenturen mit großen Retainern. Damit budgetieren sie auf einmal Ihren Stunden- und Kostenaufwand, teilen durch 12, und das ist ihr Retainer – ein monatliches Grundhonorar. Das vereinfacht das Geschäftliche, du hast sofort ein Jahreseinkommen. Bei Arbeit auf Projektbasis kannst du nicht so weit vorausschauen. Da kann es sich plötzlich herausstellen, dass du falsche Entscheidungen getroffen hast.“

„Retainer sind ein Zeichen des Vertrauens. Mit einem Retainer ist permanente Aufmerksamkeit bei der Agentur gewährleistet. Du stellst dem Kunden ein festes Team zur Seite. Das sorgt für Ruhe und Ausgewogenheit in der Kundenbeziehung. Leider denken die meisten Werbetreibenden immer noch, dass ihnen ein Retainer teurer zu stehen kommt. Dann muss die Agentur den Kunden überzeugen, eine intensive finanzielle Beziehung zu ihr einzugehen.“ 

„Lotet das Potenzial einer wertorientierten Preisgestaltung aus“

Wertorientierte Preisgestaltung – darüber sollten wir sorgfältig nachdenken. In unserer Agentur nutzen wir sie bereits. Ein Workshop zum Beispiel, eine Strategiesitzung oder ein Konzept: Dafür kannst du einen Festpreis verlangen. Kunden begreifen, dass diese Deliverables einen bestimmten Wert haben.“

Wie wird der Wert festgelegt?

„Wir argumentieren einfach aus Kundenperspektive. Welches Problem soll damit gelöst werden? Profitiert der Werbetreibende von einer wesentlichen Verbesserung? Wir gehen immer vom Standpunkt What’s in it for the customer? aus, welchen Mehrwert hat er davon? Danach kommt noch der Zeitaufwand hinzu. Den muss man natürlich gut im Voraus berechnen.“

Sollten wir alle mit  Productizing  anfangen? 


Valérie: „Auf jeden Fall. Wie ineffizient die Preisgestaltung von Agenturen derzeit ist, wird wirklich unterschätzt. Eine unserer Agenturen, Joe Public, hat eine Menükarte mit verschiedenen Deliverables oder Geschmacksrichtungen. Ein solches System ist unglaublich effizient und der Kunde kann es gut nachvollziehen. Wir müssen keine separaten Angebote erstellen, Projekte maßschneidern … Ich glaube, viele Agenturen machen sich das Leben auf diesem Gebiet einfach viel zu schwer.“

„Ich glaube, in unserer Branche machen wir uns das Leben sehr schwer.“

Hast du einen Tipp für Agenturen, die wertorientierte Preisgestaltung einführen wollen?  


Valerie: „Es bedarf eines Mentalitätswandels, sowohl bei der Agentur als auch beim Kunden. Stell dir die Frage: Können wir unser Produkt auch dann verkaufen, wenn wir es anders verpacken? Ist in dieser Idee, die wir heranreifen lassen, auch ein Servicemodell enthalten? Und können wir es langfristig für einen Kunden einsetzen? So zu denken, setzt bereits einen Mentalitätswandel in Gang.“

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