„Hinter jedem KI-Prompt steht ein Mensch mit kreativen Fähigkeiten und frischen Ideen“

Fünf Agenturen werfen einen internationalen Blick auf KI: In the Pocket (Belgien), iO (Niederlande), Basilicom (Deutschland), Futurebrand (Frankreich) und Wavemaker (Frankreich)

Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 1 des Magazins Agency Life, das im Juli veröffentlicht wurde. Wir sind derzeit damit beschäftigt, Ausgabe 2 zu produzieren. Das Magazin wird im Januar 2025 veröffentlicht und Sie können es hier vorbestellen.

Stehen wegen der KI bald alle Wissensarbeiter auf der Straße? Was machst du, wenn ein Kunde niedrigere Preise verlangt, weil du mit KI arbeitest? Wie ethisch ist KI, und gehört das, was du mit KI-Tools erschaffst, noch deiner Agentur? 5 Fragen an ebenso viele Agenturen aus 4 Ländern.

Unsere Expertengruppe

  • Raymond Muilwijk, Chief Technology Officer bei blended agency iO (NL)  
  • Frederik De Bosschere, Strategy Lead im Digitalproduktstudio In The Pocket (BE)  
  • Jonathan Mignot, Creative Director bei Futurebrand, einem Unternehmen für Unternehmensumwandlung (FR) 
  • Sacha Bury, Chief Strategy Officer bei der weltweiten Media-Agentur Wavemaker (FR) 
  • Eva Werle, Geschäftsführerin der Digitalagentur Basilicom (DE) 

1. Ist generative KI ein Toolset oder mehr? 

Mit KI werden wir produktiver arbeiten, aber auch bessere Qualität liefern, behauptet Jonathan: „KI-Tools wie Midjourney und ChatGPT helfen den Kreativen, effizienter zu arbeiten. Alle sind begeistert von dieser zusätzlichen Produktivität. Aber diese Tools sind auch eine Inspirationsquelle. Sie helfen uns, neue Möglichkeiten zu entdecken, auf die wir von allein vielleicht nie gekommen wären.“ 

Sacha geht noch einen Schritt weiter: „Wir verschwenden so viel Zeit damit, Daten zu erfassen, Folien zu erstellen und Verwaltungsprozesse zu beachten. Wenn uns die KI solche Aufgaben abnimmt, können wir uns auf Arbeit konzentrieren, die richtig viel graue Masse brauch. Wir bekommen mehr Zeit, darüber nachzudenken, wie wir für unsere Kunden wirklich einen Unterschied machen können. Das wird nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Agenturen und ihren Kunden verbessern, sondern auch im Kollegenkreis.“  

„Was trotzdem auch bedeutet, dass KI das Aufgabenpaket einer Kreativagentur durcheinander wirbelt“, meint Jonathan. „Wir müssen über unsere Rolle als Agentur nachdenken. Was machen wir zum Beispiel langfristig mit der Produktion?“  

„Agenturen müssen auf der Hut bleiben und überlegen, wie sie in der Wertschöpfungskette weiter nach oben klettern können.“  

Frederik: „Es mag ein bisschen brutal klingen, aber wenn dein Job ganz am Ende der Wertschöpfungskette steht und eine rein ausführende Arbeit ist, dann läufst du Gefahr, deinen Job zu verlieren. Oder dass die Agentur an Bedeutung verliert. „Agenturen müssen auf der Hut bleiben und überlegen, wie sie in der Wertschöpfungskette weiter nach oben klettern können.“ Sacha stimmt dem voll und ganz zu: „Bei der Arbeit in einer Agentur geht es darum, zu beraten, den Kunden und sein Umfeld zu verstehen, zu wissen, was die Konkurrenten des Kunden tun, und zu überlegen, wie der Kunde punkten kann. Das ist und wird immer mehr zum Kern unserer Arbeit.“

Es lebe der Strickclub!

„Kreative sind glücklich, wenn sie effizienter arbeiten können. Also macht KI sie glücklich. Und doch tun sich manche schwer damit, die Umsetzung ihrer Idee komplett Tools wie Midjourney oder ChatGPT zu überlassen“, erzählt Jonathan. „Die meisten Kreativen entwerfen oder schreiben ihre Texte auch gerne selbst. Ganz allein, in aller Ruhe. Mit KI-Tools tritt dieser praktische Aspekt teils in den Hintergrund. Das erklärt für mich die Renaissance der Handarbeit. Das spüre ich sogar bei uns in der Agentur. Kollegen und Kolleginnen beginnen wieder zu stricken oder zu basteln, um diesen Mangel an ausführender Arbeit zu kompensieren.“ 

2. Wird jeder Kreative, der keine KI einsetzt, bald auf der Strecke bleiben? 

„Es gehen keine Jobs verloren“, so Raymond. „Das haben wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sofort klargemacht. Aber wir gehen davon aus, dass einem Risiko ausgesetzt ist, wer nicht mit KI arbeiten will.“ 

Eva plädiert bei ihren Kunden und ihren Beschäftigten dafür, die KI-Karte uneingeschränkt auszuspielen: „Alle müssen lernen, KI optimal zu nutzen und konzeptioneller zu denken. Wer Angst hat, seinen Job zu verlieren, sollte daher lernen, wie KI funktioniert, und Experte auf diesem Gebiet werden. Die Unternehmen stehen Schlange, um solche Experten einzustellen.“ 

„Je mehr ich mich mit generativen KI-Tools beschäftige, desto mehr stelle ich fest, dass der oder die Kreative hinter dem Computer superwichtig bleibt.“  

Jonathan sieht es differenzierter: „Je mehr ich mich mit generativen KI-Tools beschäftige, desto mehr stelle ich fest, dass sie keine guten Ergebnisse liefern, wenn keine guten Kreativen vor dem Computer sitzen. Willst du ein fantastisches Visual mit generativer KI erzeugen, musst du haarklein definieren, was du erwartest: welcher Stil, aus welchem Blickwinkel, welche Farbschattierungen und so weiter. Ohne Profi vor dem Computer geht es nicht. Mehr noch: Ich bin überzeugt, dass es weiterhin Aufgaben für Kreative gibt, die keine superschlauen Prompts schreiben können. Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass wir die Tools vollkommen außer Acht lassen sollten.“

3. Zwingt KI die Agenturen, ihre Preise zu senken?   

Werden Kunden ihre Agenturen drängen, die Preise zu senken? Und wie gehst du damit um? „Nicht darauf einlassen“, meint Frederick. In The Pocket wurde vorläufig noch nicht aufgefordert, die Preise zu senken: „Mit KI bringen wir einfach noch verrücktere Kampagnen heraus oder schreiben noch intelligentere Software. Weil KI uns inspiriert oder geholfen hat, muss doch die Rechnung nicht niedriger ausfallen, oder? Die Preisgestaltung sollte sich ohnehin an unserer Wertschöpfung für den Kunden orientieren, nicht an der benötigten Zeit.“   

„Solange du einen Mehrwert lieferst, bist du wertvoll für den Kunden,“ bekräftigt Raymond. Sein Tipp ist ein starkes Expectation Management: „Sprich mit deinem Kunden über deine Preisgestaltung. Sag ihm zum Beispiel, dass du mit ChatGPT arbeitest. Aber die Rechnung zu halbieren, nein, solche Gespräche haben wir noch nicht gehabt.“    

Sacha wirft seinen Hut in den Ring: „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass KI trotzdem an unseren Margen nagt. Und das Pitchen wird sie noch schwieriger machen.“ Daher sein Plädoyer für einen radikal anderen Ansatz bei der Preisgestaltung: „Viele Agenturen arbeiten immer noch auf Stundensatzbasis. Ihr könnt doch nicht eine Markenidee, eine strategische Beratung oder ein Werbekonzept zum Preis von, sagen wir, drei Tagen verkaufen, die Robert braucht, um mit Photoshop die Visuals zu fabrizieren? Solche Überlegungen stellen viele Agenturen derzeit an.“ 

„Ihr könnt doch nicht eine Markenidee, eine strategische Beratung oder ein Werbekonzept zum Preis von, sagen wir, drei Tagen verkaufen, die Robert braucht, um mit Photoshop die Visuals zu fabrizieren?“

KI wird diesen Einstellungswandel beschleunigen, auch bei den Kunden, glaubt Jonathan: „Der Kunde muss diese Entwicklung durchlaufen. Das geschieht jetzt gerade. Unternehmen, die die Vorteile von KI für sich entdeckt haben, werden nicht mehr einfach mal schnell jede Aufgabe einer Agentur übertragen. Sie versuchen, mehr und mehr kreative Arbeit selbst zu erledigen, und suchen strategischen Rat bei Agenturen. Und das hat einen anderen Preis.“  

Preise, Preise, Preise 

„Nur mit einer besseren Preisgestaltung können sich Agenturen vor dem drohenden KI-Sturm schützen“, sagt Agenturberater Michael Farmer in unserem Podcast.  

Farmer plädiert seit Jahren dafür, in Agenturen anders bei der Preisgestaltung vorzugehen. In diesem Blog können Sie mehr darüber lesen.

4. Wem gehört die Arbeit, die wir mit generativer KI erstellen?    

Raymond: „Inzwischen sind unglaublich viele generative KI-Tools auf dem Markt. Jedes Tool hat seine eigenen Bedingungen rund um das Eigentum. Darauf müssen wir also sehr gut achten. Unsere Rechtsabteilung überwacht die Bedingungen und Lizenzen sorgfältig. 

Aber ich habe überhaupt kein Problem damit, Arbeiten zu verkaufen, die wir mit KI kreiert haben. Wir verwenden doch auch seit Jahren Open-Source-Software, oder? Wir dürfen diesbezüglich nur keine Geheimniskrämerei betreiben. Wenn wir Open-Source-Software oder heutzutage die generative KI-Technologie einsetzen, sagen wir das unseren Kunden immer. Schließlich profitieren sie auch davon. Wir können viel schneller kreative Vorschläge machen und dann gemeinsam mit ihnen entscheiden, welche Richtung wir einschlagen.“

„Natürlich können wir Arbeiten verkaufen, die wir mit KI erstellt haben. Wir verwenden doch auch seit Jahren Open-Source-Software, oder? Wir dürfen diesbezüglich nur keine Geheimniskrämerei betreiben.“

„Die Anbieter generativer KI-Lösungen kommunizieren übrigens ihre Nutzungs- und Haftungsbedingungen immer deutlicher“, weiß Frederik. „Adobe hat eine Variante von Midjourney mit einem lizenzfreien Datensatz auf den Markt gebracht. Darin inbegriffen ist ausdrücklich die Erlaubnis, alles, was du mit dem Tool erstellst, kommerziell zu nutzen. Microsoft verspricht sogar, die Rechtskosten zu übernehmen, wenn die Nutzer in Schwierigkeiten geraten. Auch das entwickelt sich alles sehr schnell.“ 

5. Wie gehen wir verantwortungsvoll mit AI um?    

Inzwischen kennt jede Agentur die Risiken generativer KI: Was ChatGPT schreibt, sieht auf den ersten Blick beeindruckend aus, aber der Schein kann trügen. „Du stellst eine Frage und die Antwort erscheint ruckzuck schwarz auf weiß auf dem Bildschirm. Schön formuliert. Klug begründet“, gab Eva zu bedenken. „Es ist unglaublich verlockend, alle Informationen sofort zu kopieren. Aber das solltest du lieber lassen. Generative KI trainiert sich einfach selbst mit Online-Daten, einschließlich falscher Daten, und das System ist nicht intelligent an sich. Es denkt nicht wie ein Mensch.“  

Vorläufig sieht Sacha darin noch keine große Bedrohung für Agenturen: „ChatGPT verkauft dir manchmal völligen Unsinn, aber du liest ja auch schon seit Jahren Fehlinformationen im Internet und bei Wikipedia. Dessen sind wir uns als Agentur sehr wohl bewusst. Aber ich mache mir Sorgen um die breite Öffentlichkeit. Über Kinder, Schüler und Studenten, die falsch informiert werden. Und auch über die Zukunft. Was geschieht, wenn die KI menschliche Gefühle übernimmt?" 

So weit geht es noch nicht. Trotzdem sind immer mehr Marken kritisch oder verbieten Agenturen sogar den Einsatz generativer KI. Aus Angst, in Desinformation verwickelt zu werden, haben sie laut einem aktuellen Bericht von Adage eine „No AI“-Klausel in ihre Verträge aufgenommen.

„Wir müssen lernen, KI verantwortungsvoll zu organisieren, damit wir es in Zukunft nicht bereuen.“

„Wir müssen lernen, KI verantwortungsvoll zu nutzen, damit wir es in Zukunft nicht bereuen“, reagiert Eva. „Das ist eine schwierige Frage, aber eines weiß ich sicher: Die Tools links liegenzulassen, ist nicht die richtige Lösung. In Deutschland ist auf diesem Gebiet übrigens noch viel zu tun. Kaum 14 % der deutschen Unternehmen nutzen KI. Teils aus Angst. Schade eigentlich. Andere Länder sind da viel weiter. Wir müssen dringend KI-Spezialisten ausbilden. Nur so bleiben wir in Europa und der Welt wettbewerbsfähig. Auch das ist für mich ein verantwortungsvoller Umgang mit KI.“

KI für eine glänzende Zukunft 

Eva ergänzt ihre Ausführungen um eine bedenkenswerte Einsicht. Ein wertvoller Tipp für alle Eltern: „Als Mutter möchte ich meiner Tochter eine schöne Welt hinterlassen. Das bedeutet auch eine florierende Wirtschaft. Deutschland bleibt nur durch den Einsatz von KI wettbewerbsfähig. Wir sind es daher unseren Kindern schuldig, mit KI zu arbeiten. Darüber hinaus müssen wir herausfinden, wie KI uns helfen kann, die Welt zu verbessern. 

Zugleich müssen wir KI verantwortungsbewusst einsetzen, was mehr ist, als einen Rechtsrahmen festzulegen. Es bedeutet auch, unseren Kindern beizubringen, vorsichtig mit der Technologie umzugehen. Wenn sie verstehen, wie KI funktioniert, werden sie kritischer sein.“ 

Fazit: Die FasKInation teilen  

Agenturen haben eine Vorbildfunktion. Sie kennen ihre Märkte und Kunden und sind kreativ. Die Kunden erwarten deshalb, dass Agenturen Pionierarbeit leisten. „Eine Agentur ist es ihren Kunden schuldig, immer wieder neue Ideen zu entwickeln, über den Tellerrand zu schauen und Dinge auszuprobieren“, stellt Eva fest. „Darum haben wir die Aufgabe, sie in Sachen KI zu beraten und zu experimentieren, am besten zusammen mit ihnen. So schaffen wir gemeinsam einen Mehrwert für den Kunden. Und dieser Wert, dieser Erfolg, das ist letztlich unser Erfolg.“   

Zum guten Schluss: Jede Diskussion rund um KI ist blitzschnell überholt. Agency Life hat auch künftig den Finger am Puls der Zeit. Ein guter Grund, uns treu zu bleiben … 

Echte Menschen! Schau mal rein … 

Eva, Jonathan, Sacha, Raymond und Frederik könnten stundenlang weitermachen. Über den roten Knopf zum Abschalten von KI, die mangelnde Nachhaltigkeit von KI, Eigentumsrechte oder ihre eigenen ChatGPT-ähnlichen Tools. Das alles hörst und siehst du in unserem Podcast. 

Hoe integreer je AI op een slimme manier in je agency mit Frederik (In The Pocket) und Raymond (iO) auf Niederländisch.  

L’appel à un IAmie, mit Jonathan (Futurebrand) und Sacha (Wavemaker) auf Französisch.  

Künstliche Intelligenz: Vor welchen Herausforderungen, Chancen und Problemen stehen Argenturen, mit Eva (Basilicom) auf Deutsch.  

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